VGH Ba-Wü 11 S 3301/96, B.v. 17.03.97 – IBIS e.V.: C1237, NVwZ-Beil. 5/97, 33; InfAuslR 6/97, 259; abgedruckt auch in Frankfurter Rundschau v. 4.4.97, S. 10. Ein serbischer Flüchtling aus Bosnien hat in verfassungskonformer Auslegung (Artikel 1 und 2 GG) von § 53 Abs. 6 AuslG Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung und Erteilung einer Duldung in Schriftform (§ 55 Abs. 2, 66 Abs. 1 AuslG), da der Flüchtling in Bosnien mit hoher Wahrscheinlichkeit hochgradigen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wäre.
Die Lage in Bosnien ist derart instabil und angespannt, daß eine (zwangsweise) Rückkehr ohne eine Koordinierung der Flüchtlingsströme (die bislang nicht gelungen ist), auch der Hunderttausenden Binnenflüchtlinge, zu einer weiteren Destabilisierung führen würde. Die Verhältnisse bleiben weit hinter den Zielen des Friedensvertrages von Dayton zurück (FAZ 1.3.97). In allen Teilen des Landes ist es in den letzten Monaten wieder zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen den drei ethnischen Gruppen gekommen, die von der SFOR nicht verhindert werden konnten oder durften (Bonner Generalanz. 18.2.97). So läuft in Mostar die größte Vertreibungswelle seit Kriegsende, insbesondere fortgesetzte Vertreibungen von Muslime aus dem Westteil Mostars, dabei werden von den Beteiligten Handfeuerwaffen und Granatwerfer eingesetzt (Stgt.Z 31.12.96 u. 12.2.97, FAZ 12.2.97). In der Trennzone zwischen der Rep. Srpska und der Föderation kommt es zu bewaffneten Zwischenfällen und zu Sprengstoffanschlägen gegen leerstehende Moslemhäuser (dpa 14.11.96 + 26.11.96, Lagebericht AA 30.1.97). In Srpska wurden in den letzten Monaten über 200 Häuser der nicht serbischen Minderheit etwa durch Sprengungen zerstört. In der Region Doboj ist es beim Versuch von Bosniaken, in ihre Heimatdörfer zurückzukehren, zu zahlreichen Mißhandlungen und zum Teil schweren Zusammenstößen gekommen. Auch in der Region Banja Luka kommt es noch zu Vertreibungen, die ethnischen Zusammenstöße gipfeln fast täglich in Schießereien und Sprengungen von Gebäuden (AA, Lagebericht 30.1.97, dpa 14.11.96, SZ 17.1.97). Der Bundesverteidigungsminister und hohe Militärkreise des BMV haben vor diesem Hintergrund vor einer schnellen Abschiebung gewarnt, weil befürchtet wird, daß es zu noch massiveren Zusammenstößen unter der Bevölkerung und auch mit der nationalen Polizei kommen wird und dies zu erheblichen Gefahren für die 3000 Bundeswehrsoldaten führen könne (SZ 27.2.97, dpa 16.1.97, FR 17.1.97, Focus 27.1.97). Gegenwärtig kommt ohnehin nur eine Rückkehr in ethnische Mehrheitsgebiete in Frage (Lagebericht AA v. 30.1.97, UNHCR an VG Würzburg v. 10.12.96). Zur Gefährdung trägt auch die dramatische Minensituation bei, die Minenräumung kommt nicht voran (SZ 17.1.97, Bad. Z. 26.2.97, Spiegel 17.2.97).
Eine menschenwürdige Grundversorgung insbesondere mit Nahrungsmitteln und Wohnraum ist nicht gewährleistet. Bosnien muß über eine Million Binnenflüchtlinge unterbringen. Vor diesem Hintergrund wird die Praxis lokaler Behörden nachvollziehbar, Neuankömmlinge allenfalls dann aufzunehmen und zu registrieren, wenn sie über geeigneten Wohnraum verfügen oder aus der Ortschaft stammen (UNHCR an VG Würzburg v. 10.12.96). Selbst wenn sie über eigenen Wohnraum verfügen, ist dieser oftmals von anderen Flüchtlingen besetzt, auch gibt es Gesetze, nach denen Flüchtlinge oftmals ihr Rückkehrrecht in die eigenen Wohnung verwirkt haben (Lagebericht AA v. 30.1.97). Auch gehen die Behörden bei Rückkehrern aus west- und nordeuropäischen Ländern davon aus, daß diese während ihres Auslandsaufenthaltes Geld angespart haben und deshalb nach einer Rückkehr nicht auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Die Verweigerung der Registerierung würde wahrscheinlich den Ausschluß von jeder humanitären Hilfeleistung einschließlich Wohnraumversorgung sowie von der annähernd kostenlosen medizinischen Grundversorgung bedeuten. Ob der Antragsteller in einem Sammellager unterkomme könnte, erscheint mehr als fraglich, die Lebensbedingungen dort sind außerdem unzureichend (FAZ 14.1.97, Lagebericht AA 30.1.97, Stgt.Z 11.2.97).
EU-Aufbauhilfen sind bislang im wesentlichen ausgeblieben, weil die EU-Kommission das Geld zurückhält (FAZ 16.2.97, SZ 27.2.97). Selbst im Kanton Una Sana, der wie z.B. Tuzla und Mostar als sicher eingestuft wird, hat die Wideraufbauhilfe noch nicht eingesetzt (FR 28.1.97, Spiegel 10.2.97, Bonner Generalanz. 18.2.97). Keines der 20 UNHCR-Rückkehrprojekte ist umgesetzt worden (Stgt.Z. 11.2.97).
Vor einer Destabilisierung und Eskalation der ethischen Konflikte durch die Rückkehr zahlreicher Flüchtlinge haben das BMV (FR 17.1.97), eine Delegation des Bundestagsinnenausschusses nach einer Bosnienreise (Berl.Morgenpost 16.2.97), der UNHCR und der stellvertretende "Hohe Repräsentant", der dt. Diplomat Steiner (FAZ 1.3.97) eindringlich gewarnt.
Eine Rücksichtnahme auf Herkunft und Volkszugehörigkeit und den Aufbau in den Zielgebieten haben die dt. Innenminister aber abgelehnt (FAZ 1.3.97), eine Änderung dieser Haltung ist nicht erkennbar, so hat der Innenminister Me-Vo Geil nach einer Bosnienreise mit den Innenministern Bayerns und Niedersachsens definitiv erklärt, es werde bei der Rückführung keine regionale Differenzierung geben (SZ 27.2.97).
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