VG Gelsenkirchen 9a K 4962/00.A, U.v. 04.11.03, IBIS M4474, Asylmagazin 1/2004, 32, www.asyl.net/Magazin/1_2_2004b.htm - E11 . Der Kläger hat mangels Zugang zu medizinischer Versorgung in der Türkei Anspruch auf Abschiebeschutz gem. § 53 Abs. 6 AuslG.
Der 12-jährige Kläger leidet an einer schweren psychomotorischen Entwicklungsverzögerung sowie an Epilepsie, die auf eine schwere cerebrale Schädigung zurückzuführen sind. Bleibt ihm der Zugang zu regelmäßiger fachärztlicher Betreuung und Medikamentenversorgung nicht erhalten, droht eine Exazerbation des Anfallsleidens, die als existenzbedrohlich eingestuft werden muss.
Angesichts der Arbeitsmarktsituation in der Türkei (Lagebericht AA Türkei v. 12.08. 03) kann nicht erwartet werden, dass die Eltern des Klägers auch nur mittelfristig eine ausreichend bezahlte Arbeitsstelle erlangen werden. Nur in den großen Städten des Westens der Türkei ist eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet. Kurdische Flüchtlinge leben dort unter elenden Bedingungen, ohne eine Möglichkeit zu arbeiten. Ferner kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger und seine Eltern die notwendigen Behandlungskosten aus einer Krankenversicherung bestreiten könnten. In den Genuss der türkischen Sozialversicherung kommen grundsätzlich nur Staatsbeamte sowie sozialversicherungspflichtig beschäftigte Angestellte und Arbeiter (Lagebericht, a.a.O.).
Die medizinische Behandlung kann der Kläger ferner nicht über die sog. 'Yesil-Kart' (Grüne Karte) nach dem 'Gesetz bezüglich der Übernahme der mittellosen Staatsbürgern entstehenden Behandlungskosten durch den Staat' erreichen. Nach dem Lagebericht beträgt die Wartezeit mindestens sechs bis acht Wochen nach Antragstellung. Weitere Erkenntnismitteln zufolge wird die 'Yesil-Kart' - zumal in den kurdisch besiedelten Teilen der Türkei - nur willkürlich vergeben und berechtigt auch nur zu einer absoluten Notfallbehandlung (so Dr. med. Gisela Penteker, Auskunft an das VG Stuttgart v. 11.11.01).
Hiernach ist es beachtlich wahrscheinlich, dass allein in der Wartezeit bis zum Erhalt der 'Yesil-Kart' durch eine Unterbrechung der Behandlung irreversible Schäden aufgrund des Auftretens von Krampfanfällen eintreten. Nach Kaya, Gutachten an das VG Wiesbaden, haben Medien in der Türkei über Dutzende von Fällen berichtet, in denen Arme und Schwerkranke nicht in Krankenhäuser aufgenommen wurden. Unabhängig hiervon nötigt eine Gesamtwürdigung der in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen zu der Feststellung, dass die 'Yesil-Kart' lediglich eine stationäre Behandlung ermöglicht, nicht jedoch - worauf der Kläger indes vorrangig angewiesen ist - die Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten im Rahmen einer ambulanten Behandlung.
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