VG Berlin 35 A 3811.97 v. 25.2.99, InfAuslR 1999, 376, IBIS e.V. C1497 Anspruch auf Aufenthaltsbefugnis für traumatisierte Bosnier. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis sowohl nach § 30 Abs. 3 als auch nach § 30 Abs. 4 AuslG vor, steht der Behörde ein Ermessen darüber zu, ob sie eine solche Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Als Ermessenskriterien können die Dauer der Abschiebungshindernisse und die Art der Duldungsgründe sowie die Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigungen im Falle der Ausreise herangezogen werden. Eine Reduzierung des der Ausländerbehörde eingeräumten Errmessens kommt insbesondere dann in Frage, wenn die Dauer des Aufenthalts des Ausländers in Deutschland aufgrund von bürgerkriegsbedingten Traumata unabsehbar ist und die Erteilung eines rechtmäßigen Aufenthaltstitels für den Erfolg der auf mehrere Jahre angelegten Psychotherapie von Belang ist.
Zur Begründung verweist das VG auf die UNHCR-Position vom 22.6.98, wo es bezüglich jener Gruppen, die weiter internationalen Schutzes bedürfen, unter Ziffer 3.1 heißt: "Es kann angenommen werden, dass ehemalig in Konzentrationslagern oder Gefängnissen Inhaftierte, Opfer oder Zeugen von Gewalt sowie schwer traumatisierte Personen schwere Verfolgung auch von Hand der örtlichen Bevölkerung erlitten haben. Eine Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina kann vernünftigerweise nicht von ihnen erwartet werden. Viele der Personen, die für ihre Verfolgung verantwortlich waren, sind weiterhin auf freiem Fuß in Bosnien-Herzegowina, manche sogar in offiziellen Positionen. Zeugen vor dem internationalen Gerichtshof für das frühere Jugoslawien sollten gleichermaßen geschützt werden. Alle diese Gruppen benötigen fraglos Langzeitlösungen außerhalb Bosnien-Herzegowinas."
Diese Auffassung deckt sich mit den Erfahrungen nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur: Niemand wäre beispielsweise ernsthaft auf den Gedanken gekommen, ehemals Verfolgte oder gar Überlebende aus Konzentrationslagern zwangsweise nach Deutschland zu den Verursachern ihrer Traumata zurückzubringen, und zwar völlig unabhängig von der Tatsache, dass dort nach 1945 keine akute Wiederholungsgefahr mehr bestand.
Gerade aus dieser Erfahrung heraus wurde in Art. 1 C Nr. 5 Abs. 2 GK ein Anspruch auf Aufenthalt u.a. für Kriegstraumatisierte geschaffen, auf den sich auch die Klägerin berufen kann (vgl. VG Ansbach AN 4 K 81 C.638 v. 24.5.84; VG Karlsruhe A 12 K 10192.98 v. 18.5.98; VG München M 21 K 96.53206 v. 5.5.98). Auch im Asylverfahren genießen Traumatisierte in solchen Fällen einen besonderen Schutz vor einem Wiederruf der Anerkennung (§ 73 Abs. 1 S. 3 AsylVfG). Denn auch eine Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse bedeutet im Einzelfall nicht, dass sich der psychische Zustand des Flüchtlings in Anbetracht seiner vergangenen Erlebnisse völlig geändert hat, ganz abgesehen davon, dass eine Änderung des Regimes nicht immer auch eine völlige Änderung in der Haltung der Bevölkerung bedeuten muss (vgl. UNHCR, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, S. 37).
Dostları ilə paylaş: |