VG Hannover, Urteil vom 11.04.1997 - A 7174/96 – IBIS C1379 Das VG hat die Abschiebung eines minderjährigen Kindes unter Bezugnahme auf die UN-Kinderschutzkonvention untersagt: ”Die Klage hat indes Erfolg, soweit der Kläger die Aufhebung der Abschiebungsandrohung in Nr. 4 des Bescheids des begehrt. Das ergibt sich aus dem ”Übereinkommen über die Rechte des Kindes” vom 20.11.1989 (KRK), wie es am 05.12.1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen worden ist und das durch Gesetz vom 17.02.1992 am 05.04.1992 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten ist. Der Kläger ist, da er das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ein Kind im Sinne des Art. 1 KRK (vgl. FamRZ 1992, 253 f.). Nach § 3 Abs. 1 KRK ist bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt; gemäß Abs. 2 der Norm verpflichten sich die Vertragsstaaten, dem Kind den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen erforderlich sind. Nach Art. 20 Abs. 1 KRK hat ein Kind, das vorübergehend oder dauernd aus seiner familiären Umgebung herausgelöst wird, Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates.
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Vorgaben ist die Abschiebungsandrohung aufzuheben. Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag des Klägers sind seine Eltern etwa im März 1995 verhaftet worden, und er weiß nicht, an welchen Ort sie verbracht worden sind. Seit dieser Zeit hat er keinen Kontakt mehr mit ihnen gehabt, so dass zu befürchten steht, dass sie nicht mehr am Leben sind. Bei einer Durchführung der Abschiebung in sein Heimatland wäre er völlig auf sich selbst gestellt und insbesondere gezwungen, ohne Fürsorge, Schutz und Betreuung durch die Eltern eine Unterkunft zu finden sowie seinen Lebensunterhalt - im ohnehin wirtschaftlich notleidenden Äthiopien - allein zu bestreiten. Ein solches ”dem eigenen Schicksal überlassen” steht mit den vorgenannten Regelungen der KRK nicht im Einklang, da es das danach vorrangig zu berücksichtigende Kindeswohl außer acht lässt (vgl. VG Arnsberg, Beschl. v. 07.05.1996 - 5 L 1598/95 A -, InfAuslR 1996, 285).
Danach kann auch die Ratifikationsurkunde der Bundesregierung vom 06.03.1992 (BGBl. 1992 II 990) - wonach die KRK innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung findet und nichts in dem Übereinkommen dahingehend ausgelegt werden könne, das das Recht der Bundesrepublik beschränke, Gesetze und Verordnungen über die Bedingungen des Aufenthalts von Ausländern zu erlassen - nichts ändern. Es ist bereits zweifelhaft, ob sie einen zulässigen Vorbehalt darstellt; jedenfalls spricht mehr dafür, dass sie mit Blick auf Art. 51 Abs. 2 KRK unwirksam ist (vgl. dazu Menzel, Zeitschrift für Ausländerrecht (ZAR) 1996, 22ff. (23)).
Schließlich ergibt sich ein Abschiebungsverbot auch aus Art. 1 und 2 des von der Bundesrepublik ratifizierten Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 05.10.1961 - (BGBl. II 1971, 217). Nach Art. 1 MSA sind die Behörden des Aufenthaltsstaats u.a. verpflichtet, Maßnahmen zum Schutze der Person des Minderjährigen zu treffen. Schutzmaßnahmen in diesem Sinne sind nicht nur solche, die den eigentlichen Zweck der Vormundschaft betreffen. Vielmehr lässt sich aus Art. 1 MSA auch die Verpflichtung und das Recht herleiten, ggf. ausländerrechtliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um den weiteren Verbleib eines ausländischen Kindes im Bundesgebiet zu sichern. Dies setzt freilich zwingend voraus, dass der weitere Verbleib des Kindes im Interesse des Kindeswohls zwingend geboten ist. Da diese Voraussetzungen jedoch im Falle des Klägers erfüllt sind, unterliegt die Abschiebungsandrohung auch unter diesem Gesichtspunkt der Aufhebung (vgl. VG Frankfurt, Urt. v. 24.11.1993 - 5 E 11833/93 - NVwZ 1994, 1137).”