LSG Berlin L 11 Vs 6/97 v. 17.12.98, www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/docs/C1494.pdf (Vorinstanz zu BSG B 9 SB 1/99 R v. 1.9.99, s.u.) Anspruch auf Schwerbehindertenanerkennung für eine geduldete Albanerin aus dem Kosovo, die seit November 1992 in Berlin lebt, infolge einer Granatexplosion an beiden Oberschenkeln amputiert und auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen ist - erfüllt die Voraussetzungen des § 1 SchwbG. Sie ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Nachteilsausgleichen ”aG” und ”B” anzuerkennen. Die Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt (g.A.) rechtmäßig in der BR Deutschland. Die Frage des g.A. lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise entscheiden, wobei alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung bei Beginn eines streitigen Zeitraumes erkennbaren Umstände zu berücksichtigen sind. Nach einer längeren tatsächlichen Verweildauer wird aber regelmäßig schon diese Tatsache den g.A. begründen; ist die weitere Verweildauer ungewiss, so genügt, dass ein weiteres Verweilen in Betracht kommt.
Der g.A. der Klägerin ist auch als rechtmäßig i.S.d. § 1 SchwbG anzusehen. Im Unterschied zu einer Aufenthaltsgenehmigung wird die Aufenthaltsgestattung oder auch die Duldung formell als rechtmäßig, im Hinblick auf die fortbestehende Ausreisepflicht (§§ 42 Abs. 1, 56 Abs. 1 AuslG) materiell aber als unberechtigter Aufenthalt angesehen. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen, denn bei der Duldung, wie sie gemäß § 55 AuslG der Klägerin fortlaufend seit September 1992 erteilt worden ist, handelt es sich um ein ebenfalls von der Rechtsordnung gebilligtes Verweilen in der BR Deutschland. Der Gesetzgeber hat im Schwerbehindertenrecht - anders als beim Kinder- und Erziehungsgeld - keinen qualifizierten Aufenthaltstitel als Anspruchsvoraussetzung normiert. Hervorzuheben ist, dass sich § 6 SchwbAV auch auf die Aufenthaltsgestattung nach AsylVfG und die Arbeitserlaubnis bezieht. Geduldeten Ausländer kann eine Arbeitserlaubnis erteilt werden (§ 19 AFG/§ 284 SGB III i.V.m. § 5 AEVO), von dieser Möglichkeit hat die Arbeitsverwaltung bei geduldeten jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtlingen wiederholt Gebrauch gemacht. Es kann aber nicht entscheidend für die Annahme des rechtmäßigen Aufenthaltes sein, ob eine Arbeitserlaubnis erteilt wird oder - wie im vorliegenden Fall - ob eine derartige Erteilung ausscheidet, weil der Ausländer wegen seiner schweren Behinderung nicht in den Arbeitsprozess eingegliedert werden kann.
Eine auf den Besitz bestimmter Aufenthaltstitel begrenzte Auslegung entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck des SchwbG. Während andere Sozialleistungen (vgl. die Rspr. des BSG zum Kinder- und Erziehungsgeld und zum Rentenrecht) zweckgebunden sind, wird das Schwerbehindertenrecht von humanitären Gesichtspunkten getragen, für die zu gewährenden Hilfen in Form von Rechten und Nachteilsausgleichen werden Gegenleistungen nicht erwartet. Im übrigen wird aus § 6 SchwbAV deutlich, dass der Ausländer selbst bei befristetem Aufenthalt dem Schutzbereich des SchwbG unterliegt. Von daher erachtet der Senat die Duldung nach § 55 AuslG als ausreichend zur Begründung eines rechtmäßigen g.A. i.S.v. § 1 SchwbG. Abgesehen davon dürften bei der Klägern die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen vorliegen, da sie seit mindestens zwei Jahren eine Duldung besitzt. Die Angewiesenheit auf Sozialhilfe muss hierbei außer Betracht bleiben, § 30 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 AuslG. Ihrer freiwilligen Ausreise wie einer Abschiebung stehen nicht von ihr zu vertretenden Hindernisse entgegen. Diese ergeben sich aus der schweren Behinderung, dem Angewiesensein auf Unterstützung im Alltag sowie auf eine dauerhafte medizinische Versorgung, die auf unabsehbare Zeit in ihrem Heimatland wegen der dortigen Bürgerkriegszustände nicht gesichert ist.