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§ 70 Abs. 1 AuslG. Ob diese gesetzliche Pflicht die Antragstellerin zur Mitwirkung verpflichtet, erscheint jedoch zweifelhaft, da es sich hier um eine psychiatrische Untersuchung handelt. Diese von der Ausländerbehörde eingeleitete Untersuchung verlangt die Offenbarung höchstpersönlicher Angelegenheiten und intimer Erlebnisse (beispielhaft sexueller Missbrauch) sowie die Offenlegung geistig-seelischer Einstellungen zu diesen Erlebnissen. derartige Untersuchungen greifen so tief in die Privatsphäre ein, dass sie nur aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung durchgeführt werden dürfen (Bay. OLG, MDR 1972, 871; BGH v. 24.4.52, IV ZR 158/51, LM § 32 EheG Nr. 3). Das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde (Art. 1 und 2 GG) führen dazu, dass in die Freiheit der Person und ihre körperliche Integrität nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf (Art. 2, Art. 104 GG). Die Anordnung einer psychiatrischen Untersuchung ist zudem nur rechtmäßig, wenn gewichtige Gründe hierfür vorliegen (VGH Ba-Wü, DVBl 1988, 358; VGH Kassel, NVwZ-RR 1995, 47), eine solche Anordnung ist wegen des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht entgegen § 44a VwGO auch isoliert anfechtbar.
Der Gesetzgeber hat nur in sehr begrenztem Umfang den Grundsatz durchbrochen, dass sich niemand gegen seinen Willen ärztlich untersuchen lassen muss. Soweit eine Pflicht zur Duldung einer ärztlichen Untersuchung besteht, wird dies inzwischen ausdrücklich gesetzlich geregelt, vgl. z.B. § 17 WPflG, § 4 BPolG, § 42 BBG, § 3 StVzO, § 62 SGB I, § 32 BSeuchG, § 81a StPO, § 372a ZPO. Das AuslG enthält eine solche Regelung jedoch nicht. Ob sich eine Verpflichtung zu einer psychiatrischen Untersuchung aus § 70 Abs. 1 AuslG (Mitwirkung des Ausländers) ergibt, erscheint zweifelhaft.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Vorschrift eine ausreichende Ermächtigung zur psychiatrischen Untersuchung von Kriegsflüchtlingen, die eine Traumatisierung geltend machen, darstellt, ist die Verfahrensweise der Ausländerbehörde rechtswidrig und die Ergebnisse der Untersuchung dürfen nicht verwertet werden. Die von der Ausländerbehörde inzwischen bei allen Antragstellern, die eine Kriegstraumatisierung geltend machen, veranlasste polizeiärztliche Untersuchung ist wegen mangelndem Grundrechtsschutz und auch deshalb rechtswidrig, weil sie in der jetzigen Form zu keinem sachgerechten Ergebnis führen kann.
Die 30 bis 60 minütige Untersuchung berücksichtigt nicht die besondere Situation traumatisierter Flüchtlinge, die anderen Menschen, insbesondere aber staatlichen Funktionsträgern, mit äußerstem Misstrauen, Vorsicht und Angst begegnen. Die polizeiärtzliche Untersuchung stellt eine echte Angstsituation dar, auch weil die Flüchtlinge davon ausgehen müssen, dass ein negatives Ergebnis der Untersuchung schon von vornherein feststeht. Die im Innenausschuss vorgelegten Zahlen (vgl. Berliner Zeitung v. 23.3.99) lassen erkennen, dass 80 bis 90 % der Flüchtlinge, denen durch privatärztliches Attest eine PTSD bescheinigt wird, nach Auffassung des Polizeiarztes dieses Krankheitsbild nicht haben.
Diese Zahlen stehen im krassen Widerspruch zu allen bisherigen Erkenntnissen über die Zahl der kriegstraumatisierten bosnischen Flüchtlinge. Nach einer neueren Studie der Harvard Medical School leidet jeder vierte Flüchtling des Bosnienkrieges unter einem dauerhaften psychischen Schaden (vgl. Focus v. 9.8.1999, S. 120). Nach anderen Erkenntnissen (Mohr, Traumatisierte Flüchtlinge und Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland) muss bei etwa 20 % aller Flüchtlinge von einer Traumatisierung ausgegangen werden. Bei einer Gesamtzahl von 30.000 bosnischen Flüchtlingen in Berlin wurde die Zahl der Traumatisierten bisher auf 2.000 bis 3.000 geschätzt, also noch unter 10 % der Gesamtzahl. Die inzwischen durchgeführten polizeiärtzlichen Untersuchungen ergeben hingegen eine Zahl, die sich im Bereich zwischen 1 und 2 % bewegt und daher allen anderen Erkenntnisquellen vollständig widerspricht. Sie erklärt sich zur Überzeugung des Gerichts aus einem in Ansatz und Durchführung fehlerhaftem Untersuchungsverfahren.
Dass die eingesetzten Ärzte - gelegentlich wird auch eine Sportärztin zur Traumaprüfung eingesetzt (vgl. Verfahren VG 35 A 3194.97) - die erforderliche fachliche Qualifikation für eine solche Untersuchung besitzen, kann nicht festgestellt werden. Dass die untersuchende Polizeiärztin die erforderliche Qualifikation auf dem Fachgebiet der PTSD besitzt, konnte der Vertreter der Ausländerbehörde nicht bestätigen, dies ist zur Überzeugung des Gerichts im Hinblick auf die Art der Durchführung der Untersuchung auszuschließen. Die Untersuchung unter Einsatz der 8jährigen Tochter als Dolmetscherin muss als offensichtlicher, durch nichts zu rechtfertigender ärztlicher Kunstfehler angesehen werden. Die Vorstellung, die Tochter müsste eine von der Mutter erlebte Vergewaltigung übersetzen - in Bosnien wurden mehr als 20.000 Frauen vergewaltigt (Der Spiegel v. 19.6.99, S. 56) - ist so ungeheuerlich, dass ein sachkundiger Facharzt eine solche Situation von vornherein vermeiden würde. Dass kein fachlich ausgewiesener Sprachmittler eingesetzt wurde, lässt erhebliche Zweifel an der fachlichen Kompetenz und an dem Willen, eine ernstgemeinte Untersuchung durchzuführen, entstehen. Es ist eine eiserne Regel aller Behandlungszentren für Folteropfer, gerade Verwandte und Bekannte wegen der emotionalen Verbindung zu den Patienten - auch bei einer Krisenintervention - keinesfalls als Sprachmittler einzusetzen.
Die Rechtswidrigkeit der polizeiärztlichen Traumaprüfung folgt auch daraus, dass bei der Untersuchung kein qualifizierter Dolmetscher anwesend war. Die Ausländerbehörde bittet in ihrem Aufforderungsschreiben den Flüchtling, selbst einen Dolmetscher mitzubringen. Schon diese Aufforderung ist rechtswidrig, denn die Ausländerbehörde ist gemäß § 23 Abs. 1 VwVfG verpflichtet, für einen Sprachmittler zu sorgen, wenn der Ausländer nicht ausreichend deutsch spricht, wovon im Hinblick auf den komplizierten Untersuchungsgegenstand auszugehen ist (einhellige Auffassung, vgl. Kopp VwVfG § 23 Rn 2, sowie weitere Fundstellen...). Zwar kann als Dolmetscher jede Person hinzugezogen werden, auch Verwandte sind kraft Gesetzes nicht ausgeschlossen, jedoch muss im Einzelfall berücksichtigt werden, welche Angaben mit welcher Bedeutung Gegenstand eines Gesprächs bzw. einer Untersuchung zwischen Behörde und Bürger sind. Bei einer psychiatrischen Untersuchung, die in ihren Folgen durchaus einer Anhörung beim Bundesamt für ausländische Flüchtlinge gleichzusetzen ist, muss wegen der Bedeutung der Befragung jeglicher Übersetzungsfehler ausgeschlossen werden, was nur durch Beteiligung eines vereidigten Dolmetschers erfolgen kann. Ggf. ist ein Dolmetscher heranzuziehen, der für den Gesundheitsbereich qualifiziert ist.
Dass ein Flüchtling, der Leistungen nach AsylbLG erhält, keinen vereidigten (Berufs)-Dolmetscher beauftragen kann, liegt auf der Hand. Wenn die Ausländerbehörde einen Antragsteller, der ohne Dolmetscher erscheint, wegschickt, verstößt sie gegen das VwVfG. Soweit der Vertreter der Ausländerbehörde auf die mit der Einschaltung vereidigter Dolmetscher verbundenen Kosten verweist, ist darauf hinzuweisen, dass die Beachtung von Grundrechten, um die es hier geht, nicht unter dem Vorbehalt der fiskalischen Realisierbarkeit steht. Eine Behörde kann kostspielige Ermittlungen nur unterlassen, wenn sie zu Gunsten des Bürgers entscheidet.
Die Verfahrensweise der Ausländerbehörde bei der Prüfung der PTSD ist auch deshalb rechtswidrig, weil sie ohne jede Risikoabwägung erfolgt. Auch die Gefahr eines psychischen Schadens macht eine solche Untersuchung unzulässig (OLG Koblenz, NJW 1976, 379; allgemeine Auffassung, vgl. weitere Fundstellen). Bei der gegenwärtigen Verfahrensweise besteht in nicht hinnehmbarem Maße die Gefahr einer Retraumatisierung, weil in 80 bis 90 % der Fälle trotz fachärztlichen Attestes und damit vielfach zu Unrecht die Traumatisierung angezweifelt oder negiert wird. Dass eine solche Gefahr nicht nur theoretischer Natur ist, zeigt der Fall einer dreiköpfigen Familie, deren von dem umstrittenen Polizeiarzt Oberbauer (vgl. Berliner Zeitung v. 19.3.99) durchgeführte Untersuchung zur Folge hatte, dass ein kollektiver Selbstmord der Familie nur durch eine massive Krisenintervention der behandelnden Ärzte abgewendet werden konnte.
Die Entscheidung die bis Ende 1997 praktizierte Überprüfung von fachärztlichen Attesten durch die Senatsverwaltung für Gesundheit, die im Vergleich zum Polizeiarzt ein umgekehrtes Verhältnis von Anerkennung und Ablehnung zur Folge hatte, abzuschaffen, weil sich die Verwaltungen nicht über die Kosten einigen konnten, bringt keinen Spareffekt. Die rechtswidrige polizeiärztliche Praxis macht es immer häufiger erforderlich, durch ein mit erheblich höheren Kosten verbundenes gerichtliches Gutachten die PTSD überprüfen zu lassen. Alle bisher vorliegenden Sachverständigengutachten haben die geltend gemachte Traumatisierung bestätigt.
Der polizeiärztliche Befund ist auch deshalb nicht geeignet, die fachärztlichen Atteste zu widerlegen, weil er inhaltlich ohne jede Substanz ist. Eine polizeiärztliche Befunderhebung muss detailierte Angaben über die Untersuchungsmethode, die erhobenen Befunde und das Ergebnis der Untersuchung enthalten, wenn hierdurch die privatärztliche Untersuchung widerlegt werden soll.
Da inzwischen eine Abschiebung nach Kroatien beabsichtigt ist, ist auch die Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu klären, nachdem die kroatische Botschaft für beide Passersatzpapiere (putni list) ausgestellt hat. Der Antragsteller zu 1 besitzt zwar einen kroatischen Pass, stammt allerdings aus Bosnien-Herzegowina. Nach Mitteilung des UNHCR vom 27.1.99 hat der Besitz eines kroatischen Passes für bosnische Kroaten nicht automatisch den Erwerb der kroatischen Staatsbürgerschaft zur Folge (vgl. ebenso VG Berlin 11 F 1.98 v. 24.2.99). Die Kammer hat in ständiger Rspr. bosnischen Kroaten mit kroatischem Pass und Wohnsitz in Bosnien eine Duldung als Bosnier zugesprochen (vgl. Fundstellen, zuletzt VG 35 F 2.98 v. 16.2.98). Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. stellt sich die Frage nach der Staatsangehörigkeit um so mehr, als sie nie einen kroatischen Pass besessen hat, und deshalb die Ausstellung einer putni list für sie nicht zu erklären ist, weil nicht erkennbar ist, wodurch sie die kroatische Staatsangehörigkeit erworben haben könnte.

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